Auch wenn uns die große Politik immer beschäftigt und bewegt hat, haben wir sie bisher hier aus dem Blog herausgehalten. Wir haben es immer geschafft, aus gesellschaftlichen Ereignissen etwas praktisches und zukunftsorientiertes zu entwickeln. Nachdem nun die AfD bei der Bundestagswahl im Osten nahezu alle Wahlkreise gewonnen hat und im Bundestag die zweitstärkte Fraktion stellt, kann zumindest eine von uns nicht mehr ihre Klappe halten.
Wir beide blicken mit Sorge darauf, dass die AfD schon jetzt den gesellschaftlichen Ton agressiver macht, kompromissloser, brutal. Wir greifen nur ein Zitat aus dem dpa-factchecking heraus: Marcel Grauf (AfD) sagte 2015: "Ich würde niemanden verurteilen, der ein bewohntes Asylantenheim anzündet." Die Sprache wird polarisierter, es riecht nach Entweder-Oder. Es scheint wieder akzeptiert zu sein, dass es "minderwertige" Menschen gibt, deren Rechte hemmungslos beschnitten werden können. Aus unserer Sicht wird das unser Zusammenleben stark verändern. Und wir stellen uns die Frage, welche Auswirkungen wir in unserer Arbeit spüren werden. Welche Werte werden jetzt wichtig? Und teilen wir diese Werte?
Für uns ist dieses Wahlergebnis ein Aufruf, die eigene Haltung auf den Punkt zu bringen und zu sagen, was aus unserer Sicht für ein gesundes Zusammenleben wichtig ist: Menschlichkeit, Empathie, Lösungsorientierung und die Würde des Individuums.
Unser Ziel ist, Vielfalt in einem Raum willkommen zu heißen und miteinander im Gespräch zu halten. Dazu gehört auch, Grenzen zu vereinbaren. Anstelle des Rechts des Stärkeren favorisieren wir "Konsent"-Entscheidungen, die in der agilen Organisationswelt gelebt werden, und die insbesondere Einwände für Entscheidungen fruchtbar machen. Dieses Oszillieren zwischen "empfangen" sowie erkunden der Position der Anderen und "senden" der eigenen beschreibt Klaus Eidenschink in seinem aktuellen Artikel "Liebe Konflikte: Jetzt rede ich und damit basta!" in der Zeitschrift ManagerSeminare. Beide Verhaltensweisen haben ihre Berechtigung und wir tun gut daran, beide zu trainieren, um sie in den passenden Situationen zeigen zu können.
Am Morgen nach der Wahl sahen wir die NANO-Sendung "Koalitionsbildung: Kompromisse für die Demokratie", und können ein kurzes Reinschnuppern empfehlen: In den ersten zehn Minuten wird "der schlechte Ruf" von Kompromissen hinterfragt. Véronique Zanetti, Professorin für politische Philosophie an der Universität Bielefeld, erläutert, wie wichtig es ist, über den eigenen Schatten zu springen, um Lösungen zu finden - ohne dabei seine eigene Position/Meinung verleugnen zu müssen. "Business as usual" sind Kompromisse in der Politik für Professor Ulrich Willems, der an der Universität Münster über die Kultur von Kompromissen forscht. Er blickt zuversichtlich auf die nächsten Wochen bis Ostern und die Verhandlungen von SPD und CDU.
Uns gefallen die "10 Regeln für Demokratie-Retter" von Jürgen Wiebicke:
1. Liebe Deine Stadt.
2. Mach' Dir die Welt zum Dorf.
3. Bleibe gelassen im Umgang mit Demokratie-Verächtern.
4. Fürchte Dich nicht vor rechten Schein-Riesen.
5. Verliere nicht den Kontakt zu Menschen, die nicht Deiner Meinung sind.
6. Packe Probleme nicht in Watte.
7. Verabschiede Dich von der Attidüde, eigentlich gegen diese Gesellschaft zu sein.
8. Warte nicht auf den großen Wurf.
9. Wehre Dich, wenn von "den" Politikern die Rede ist.
10. Verbinde Gelassenheit mit Leidenschaft.
Das Buch erschien bereits 2017 im kiwi-Verlag, und weist im Rückentext darauf hin, dass unser Demokratie-Muskel durch lange Passivität derzeit ziemlich untrainiert ist. Wir würden diese Muskelgruppe gerne um den Miteinander-Muskel ergänzen. Fünf von zehn Regeln sind auf der Seite "Zusammenhalt durch Teilhabe" kommentiert. Und auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung können Sie ein Video-Interview mit dem Autor sehen.