Herzlich Willkommen!

Wir freuen uns über Ihr Interesse an der Zukunft. Immer zum ersten Tag eines Monats hinterfragen wir hier Entwicklungen, Ideen, Visionen oder auch ganz pragmatische Ansätze zu einer lebenswerten Zukunft. Wir sind gespannt auf Ihre Kommentare!



Freitag, 1. November 2024

Zukunfts-Muskel-Training

Über einen Artikel in der SZ wurden wir auf einen Workshop in der Bildungsstätte in Tutzing aufmerksam: "Zuversicht läßt sich trainieren" war die hoffnungsfrohe Überschrift. Das "Training" basiert auf dem Konzept der UNESCO zur sog. „Futures Literacy“, also zur Fähigkeit, die Zukunft zu lesen. 

Zu diesem Konzept berichtet die niederländische Hochschul-Professorin Loes Damhof ihre Umsetzungs-Ideen in einem Ted Talk, TEDxYouth@Groningen. Sie ist die Inhaberin des UNESCO-Lehrstuhls für Zukunftskompetenz an der Hochschulbildung an der Hanze Universität (Groningen, NL).

Sie appelliert dafür, eine neue Beziehung zur Zukunft einzugehen: Es gibt nicht "die" eine Zukunft, sondern viele - und zwar soviele wie wir Menschen sind. "Die" Zukunft existiert noch nicht - wir imaginieren sie, und werden dabei von Annahmen (aus hochgerechneten Zahlen, Daten, Fakten), Wünschen, Hoffnungen, Ängsten geleitet. Unsere Vorstellung der Zukunft leitet dann unser Handeln in der Gegenwart.

Futures Literacy ist eine Kompetenz - und das heisst, wir können sie (ein-)üben, wie wir die Bewältigung von Untersicht und Komplexität nutzen können. In Workshops decken die Teilnehmenden im Austausch ihre existierende Annahmen auf und hinterfragen sie immer wieder. Jede:r erweitert so die eigene Wahrnehmung und kommt zu neuen Fragen. Die gemeinsame Exploration der Zukünfte fördert die individuelle Offenheit und Flexibilität.

Uns hat das Workshopformat Future Literacy nicht nur als Thema für unseren Zukunftsdialog angesprochen. Uns interessiert auch das individuelle Training für unseren Zukunftsmuskel: Brauche ich eher Planbarkeit und Sicherheit? Oder beginne ich damit zu lernen, mit dem Unerwarteten umzugehen? Aus Sicht von Loes Damhof trainiert es, sich mehrere Zukünfte in Szenarien vorzustellen. Dafür nutzt sie eine typisch menschliche Fähigkeit: unsere Vorstellungskraft. 

Man kann Loes Damhof auch simultan übersetzt folgen. Sie war online für einen Vortrag beim Digital Summit der Körber Stiftung 2021 zugeschaltet: Wie verändert Futures Literacy das Denken und Lernen?

Ist man erstmal bei YouTube, gibt es dort auch einen interessanten Vortrag aus dem Mai 2024 von Prof. Dr. Thomas Seidl mit seinen 2 Studierenden Sophia Mandel und Lilli Wiedemann. Auf dem KI Campus waren die drei zu Gast beim University Future Festival mit dem Motto "Tales of Tomorrow". Ziel des Festivals war Zukunftsnarrative zu hinterfragen: Welche sind relevant und welche sind "nur" Märchen. Denn "Geschichten sind mächtig - sie konstruieren unsere Realität".

Thomas Seidel baut Future Literacy in seine Lehre an der Hochschule der Medien in Stuttgart ein. Seine Studierenden üben sich darin, Zukünfte zu denken. Sophia Mandel und Lilli Wiedemann stellen Ihre Ergebnisse vor: Sie haben zwei Beispiele für ausgearbeitete Szenarien mitgebracht: Sie haben den Klimawandel, der sich unterschiedlich entwickeln kann, und seine Auswirkungen auf die Hochschullehre betrachtet:

  • Gerät der Klimawandel außer Kontrolle, wird die Hochschullehre virtueller als wir es aus Corona-Zeiten kennen. Es wird im Vortrag ein „Hochschul-Metaverse“ eingespielt.
  • Wird dagegen das 1,5 Grad Ziel erreicht, heißt das Szenario „Make campus great again“ mit no-paper-policy, urban gardening … und einem interesanten Speiseplan mit Maden-Maultaschen und Würmer-Burger.

Die beiden Studierenden resümieren: Nach langer Vorbereitung mit viel Recherche zu Trends und Signals entstehen detaillierte Szenarien und die wiederum ermöglichen Empfehlungen für strategische Entscheidungen (Was will ich? Was wollen wir? Was nicht?). Die Beschäftigung damit läßt sie in ihrer Gegenwart aktuell sensibler mit Informationen, Threath usw. umgehen.

Und welche Zukünfte können Sie sich vorstellen, liebe Lesende?

Dienstag, 1. Oktober 2024

Ist der Mensch gut oder schlecht?

An vielen Stellen der Philosophie, der Anthroplogie, der Theologie, der Psychologie und auch der Arbeitswissenschaft gibt es Konzepte, ob der Mensch im Prinzip gut oder schlecht. Wie wir diese Frage beantworten, hat massive Ausswirkungen darauf, wie wir uns unseren Partner:innen, Freund:innen und Kolleg:innen gegenüber verhalten.

Einigen Leser:innen wird die uralte Theorie X und Y von McGregor etwas sagen. Wir zitieren wikipedia: "Die Theorie X nimmt an, dass der Mensch faul ist und versucht, der Arbeit so gut es geht aus dem Weg zu gehen. Prinzipiell ist er von außen motiviert; das heißt durch extrinsisch ausgerichtete Maßnahmen zu belohnen beziehungsweise zu sanktionieren. Im Gegensatz dazu geht die Theorie Y davon aus, dass der Mensch durchaus ehrgeizig ist und sich zur Erreichung sinnvoller Zielsetzungen bereitwillig strenge Selbstdisziplin und Selbstkontrolle auferlegt. Er sieht Arbeit als Quelle der Zufriedenheit und hat Freude an seiner Leistung."

Eine "neue Geschichte der Menschheit" aus Sicht der Y-Perspektive hat der Historiker Rutger Bregman geschrieben. Er rückt in seinem Buch "Im Grunde gut" gerade, dass wir in unserem Wesen nicht bösartig sondern gut sind, Gutes wollen und anderen gegenüber mitfühlend, konstruktiv und hilfbereit sind. 

Überrascht Sie das, liebe Lesende? Wir sind seit Jahrhunderten darauf gedrillt, in jedem uneigennützigen Verhalten - sei es noch so offensichtlich - einen egostischen Hintergedanken zu vermuten. Bregman berichtet über Tim Postmes, den Professor für Sozialpsychologie in Groningen. Seit Jahren stellt er seinen Studenten immer die gleiche Frage: Ein Flugzeug muss notlanden und bricht in drei Teile. Die Kabine füllt sich mit Rauch. Allen Insassen ist klar: Wir müssen hier raus. Was passiert?

Auf Planet A fragen die Insassen einander, ob es ihnen gutgehe. Personen, die Hilfe benötigen, bekommen den Vortritt. Die Menschen sind bereit, ihr Leben zu opfern, auch für Fremde.
Auf Planet B kämpft jeder für sich allein. Totale Panik bricht aus. Es wird getreten und geschubst. Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen werden niedergetrampelt.

Auf welchem Planeten leben Sie, liebe Leserin und lieber Leser?

«Ungefähr 97 Prozent glauben, dass wir auf Planet B leben», sagt Postmes. Diese 97% glauben an die sogenannte Fassadentheorie: Nur durch eine Fassade verdecken wir Menschen unser wahres, kriegerisches, egoistisches und böses Wesen. Die Zivilisation wäre demnach eine dünne Fassade, die beim geringsten Anlass einstürzen würde. Können Sie sich damit identifizieren?

Wir hatten schon immer unsere Bedenken und sehen uns nun von Postmes bestätigt: «Aber tatsächlich leben wir auf Planet A.» Dass das so ist, belegt Bregman anhand von historischen Analysen und mit vielen wissenschaftlichen Studien.

In seinem Buch zitiert Bregman u.a. Untersuchungen an Musketen aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, die voll geladen neben den Soldaten gefunden wurden. Anhand des Fundortes konnte man nachvollziehen, dass die Soldaten nicht geschossen haben, obwohl sie dafür die Gelegenheit hatten. Sie wollten nicht töten.

Bregman wertete die Fotos, Tagebucheintragungen und Berichte von Soldaten an der Front des ersten Weltkrieges aus, die über ein friedliches und verbindendes Weihnachten 1914 im Schützengraben berichteten. Gemeinsames Singen und Feiern von britischen und deutschen Soldaten! Dabei entstand  persönlicher Kontakt. Das ist ein Schlüssel zur Menschlichkeit - Agression dagegen entsteht über Entfernung. So wollte das Oberkommando im folgenden Jahr 1915 Verbrüderungen verhindern und befahl aus der Distanz Bombardements. Wäre es nach den Soldaten gegangen, hätten sie viele Fehlschüsse produziert.

Auch mit dem "Herr der Fliegen" räumt Bregman auf. Mussten auch Sie dieses Buch in der Schule lesen? Neben der Fiktion gibt es allerdings eine wahre Geschichte von 10 Jungs auf einer Insel, die völlig anders verlief - diese Geschichte könnten Sie ja jetzt selber lesen.

Bregman sieht, dass es "das Böse" gibt und Menschen, die anderen Böses wollen. Sein Fazit, dem wir uns anschließen: "Das Böse ist stärker - aber das Gute ist mehr."

Sonntag, 1. September 2024

Appetit-Happen als Denkfutter

Es gibt eine Buchreihe, die große Denker:innen in 60 Minuten präsentiert und neugierig auf einen ersten Überblick macht.

Von Walther Ziegler lasen wir "Wittgenstein in 60 Minuten"* und fühlten uns von Wittgensteins Kerngedanken wiedermal sehr angesprochen. 

Insbesondere: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt" löst Resonanz bei uns aus: mit den Worten, die ich kenne und möglichst sorgfältig einsetze, möchte ich in meiner Mitwelt etwas bewirken. Wenn ich merke, dass ich weniger bewirke, kann ich neue, anderere und präzisere Worte lernen. 

Mit Worten können wir immer nur einen Teil der Wirklichkeit beschreiben (die Landkarte ist nicht das Gebiet). Wir diskutieren gerne mit unseren Teilnehmer:innen, wie wirklich ist die Wirklichkeit?! Und zitieren dann auch aus dem  Tractatus Logico-Philosophicus (1918, Abschnitt 2.1) „Wir machen uns Bilder der Tatsachen. Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit. Den Gegenständen entsprechen im Bilde die Elemente des Bildes.“   

Es gibt eine Wechselwirkung zwischen Wahrgebung und unserem Wortschatz: Ich höre, was ich spreche und werde mir daran meiner eigenen Haltung bewusster. Ich kann meine Haltung verändern, wenn ich andere Worte finde. 

Auch wir als Gesellschaft finden andere Lebensformen und -weisen. Wittgenstein beschreibt, dass eine Tabuisierung von Begriffen einen Rückfall in das entsprechende Denken und Handeln, wie zum Beispiel eine Abwertung bestimmter Gruppen verhindern soll. Denken Sie aktuell an die Diskussion um den Begriff "Neger" oder das Umschreiben von Kinderbüchern. Und seit den 1970er Jahren bemühen sich Sinti und Roma um die Tabuisierung des Begriffs "Zigeuner", der aus Sicht des Zentralrates untrennbar mit rassistischer Abwertung, Kinderklau und Kriminalität verbunden ist.

Wie sehen Sie das, liebe Lesende?

*PS: Man kann von Ziegler dazu auch eine Vorlesung auf YouTube sehen.

Donnerstag, 1. August 2024

Der August in der Leere

Gehe ich zeitig in die Leere
Komm ich aus der Leere voll.
Wenn ich mit dem Nichts verkehre
Weiß ich wieder, was ich soll.

Wenn ich liebe, wenn ich fühle,
Ist es eben auch Verschleiß
Aber dann, in der Kühle
Werd‘ ich wieder heiß.

von Bertold Brecht, 1953

Beide Strophen zusammen - oder nur die erste - oder vielleicht nur die zweite -  das Gedicht wirkt hoffentlich auch in Ihren August hinein, liebe Leser und Leserinnen.

Montag, 1. Juli 2024

Wer mit dem Schatten tanzt

Sommer - Sonne - Urlaub, endlich! Der Sommer hat seine ganz eigene Stimmung; ganz besonders bei 34 Grad im Schatten. Manche lieben dieses Wetter, genießen die pralle Sonne und werden dann richtig aktiv. Für andere ist es eine Qual, sie fliehen an kühle Orte , die z. B. in Mannheim in der "Sammlung kühler Orte" ausgewiesen sind.

Der Schatten ist physisch sichtbar und zeigt sich außerdem in vielfältigen Metaphern. Sehr spannend: es gibt Schattenseiten, das Doubel unserer Seele, er macht uns größer wie einen Scheinriesen, wie Tur Tur aus Michael Endes "Jim Knopf".

buecher.de

Wir kennen auch das Schattenkabinett, oder große Ereignisse werfen ihren Schatten voraus. Der Schatten ist diffus, ohne Kontur, nicht greifbar; er ist immer da, unser Schatten. In der Mytologie steht er u. a. für das Tor zur Unterwelt.

Wie geht es Ihnen mit Ihrem eigenen Schatten - und im Schatten, liebe Lesende? Wir wünschen Ihnen einen wunderbaren Sommer mit belebender Sonne oder einem schattigen Platz unter einem großen Baum, ganz wie Sie es wollen.

PS

Dieser Post wurde inspiriert von von der Sendung "Der Schatten – Kulturgeschichte einer Metapher". Und für lange Abende empfehlen wir "Coco – Lebendiger als das Leben!"