Über einen Artikel in der SZ wurden wir auf einen Workshop in der Bildungsstätte in Tutzing aufmerksam: "Zuversicht läßt sich trainieren" war die hoffnungsfrohe Überschrift. Das "Training" basiert auf dem Konzept der UNESCO zur sog. „Futures Literacy“, also zur Fähigkeit, die Zukunft zu lesen.
Zu diesem Konzept berichtet die niederländische Hochschul-Professorin Loes Damhof ihre Umsetzungs-Ideen in einem Ted Talk, TEDxYouth@Groningen. Sie ist die Inhaberin des UNESCO-Lehrstuhls für Zukunftskompetenz an der Hochschulbildung an der Hanze Universität (Groningen, NL).
Sie appelliert dafür, eine neue Beziehung zur Zukunft einzugehen: Es gibt nicht "die" eine Zukunft, sondern viele - und zwar soviele wie wir Menschen sind. "Die" Zukunft existiert noch nicht - wir imaginieren sie, und werden dabei von Annahmen (aus hochgerechneten Zahlen, Daten, Fakten), Wünschen, Hoffnungen, Ängsten geleitet. Unsere Vorstellung der Zukunft leitet dann unser Handeln in der Gegenwart.
Futures Literacy ist eine Kompetenz - und das heisst, wir können sie (ein-)üben, wie wir die Bewältigung von Untersicht und Komplexität nutzen können. In Workshops decken die Teilnehmenden im Austausch ihre existierende Annahmen auf und hinterfragen sie immer wieder. Jede:r erweitert so die eigene Wahrnehmung und kommt zu neuen Fragen. Die gemeinsame Exploration der Zukünfte fördert die individuelle Offenheit und Flexibilität.
Uns hat das Workshopformat Future Literacy nicht nur als Thema für
unseren Zukunftsdialog angesprochen. Uns interessiert auch das
individuelle Training für unseren Zukunftsmuskel: Brauche ich eher
Planbarkeit und Sicherheit? Oder beginne ich damit zu lernen, mit dem
Unerwarteten umzugehen? Aus Sicht von Loes Damhof trainiert es, sich
mehrere Zukünfte in Szenarien vorzustellen. Dafür nutzt sie eine typisch
menschliche Fähigkeit: unsere Vorstellungskraft.
Man kann Loes Damhof auch simultan übersetzt folgen. Sie war online für einen Vortrag beim Digital Summit der Körber Stiftung 2021 zugeschaltet: Wie verändert Futures Literacy das Denken und Lernen?
Ist man erstmal bei YouTube, gibt es dort auch einen interessanten Vortrag aus dem Mai 2024 von Prof. Dr. Thomas Seidl mit seinen 2 Studierenden Sophia Mandel und Lilli Wiedemann. Auf dem KI Campus waren die drei zu Gast beim University Future Festival mit dem Motto "Tales of Tomorrow". Ziel des Festivals war Zukunftsnarrative zu hinterfragen: Welche sind relevant und welche sind "nur" Märchen. Denn "Geschichten sind mächtig - sie konstruieren unsere Realität".
Thomas Seidel baut Future Literacy in seine Lehre an der Hochschule der Medien in Stuttgart ein. Seine Studierenden üben sich darin, Zukünfte zu denken. Sophia Mandel und Lilli Wiedemann stellen Ihre Ergebnisse vor: Sie haben zwei Beispiele für ausgearbeitete Szenarien mitgebracht: Sie haben den Klimawandel, der sich unterschiedlich entwickeln kann, und seine Auswirkungen auf die Hochschullehre betrachtet:
- Gerät der Klimawandel außer Kontrolle, wird die Hochschullehre virtueller als wir es aus Corona-Zeiten kennen. Es wird im Vortrag ein „Hochschul-Metaverse“ eingespielt.
- Wird dagegen das 1,5 Grad Ziel erreicht, heißt das Szenario „Make campus great again“ mit no-paper-policy, urban gardening … und einem interesanten Speiseplan mit Maden-Maultaschen und Würmer-Burger.
Die beiden Studierenden resümieren: Nach langer Vorbereitung mit viel Recherche zu Trends und Signals entstehen detaillierte Szenarien und die wiederum ermöglichen Empfehlungen für strategische Entscheidungen (Was will ich? Was wollen wir? Was nicht?). Die Beschäftigung damit läßt sie in ihrer Gegenwart aktuell sensibler mit Informationen, Threath usw. umgehen.
Und welche Zukünfte können Sie sich vorstellen, liebe Lesende?